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Lieber Bier als Patriotismus

Herausgegeben von Adrian in Allgemeines · 17/10/2015 09:21:00
Ich würde mich nicht als grossen Patrioten bezeichnen. Meine Kenntnisse des Texts der schweizerischen Nationalhymne gehen nicht über die ersten drei Worte hinaus und ich kann deren Melodie nur knapp von den dumpf-klagenden Totengesängen der Apachen in den Winnetou-Filmen unterscheiden.

Das Beste am Nationalfeiertag finde ich das Feuerwerk und dass es einen guten Grund gibt, Familie und Freunde zum Essen einzuladen. Mein Patriotismus geht aber immerhin doch so weit, dass ich "aus Liebe zur Schweiz" diejenigen Volksvertreter nicht wähle, welche mit diesem Slogan auf Stimmenfang gehen.

Ich wohne sehr gerne in der Schweiz. Der Hauptgrund dafür ist die Vielfalt auf kleinstem Raum. Palmengesäumte Lidos an südlichen Seeufern im Tessin, schroffe Gebirgsketten in den Alpen, pulsierende, urbane Kreativ-Zentren in der Deutsch- und Welschschweiz und vor sich hin dämmernde marode Industriestädtchen im Jura liegen nicht mehr als ein paar Stunden auseinander.

Dieses Jahr habe ich die Vielfalt der Schweiz neu entdeckt, in dem ich an einer 100 Pässe Fahrt teilnahm. Deren Zweck besteht darin, mit dem Motorrad die Vielfalt der Schweiz im wahrsten Sinne des Wortes zu erfahren. Dabei überquert man Pässe mit wohlklingenden Namen wie Chilchzimmersattel, Staffelegg, Pierre-Pertuis oder Schafmatt. Mittels Selfie von Fahrer, Motorrad und Strassenschild wird das Ganze fotografisch minutiös dokumentiert.

Dabei kam ich an wunderschönsten Gegenden wie etwa der Biosphäre Entlebuch oder Orten mit klingenden Namen wie Welschenrohr vorbei, die ich sonst nie gesehen hätte. Faszinierend ist auch die Befahrung von Pässen, die für den modernen Autoverkehr bedeutungslos geworden sind (wie z.B. der Weissenstein) und wo die Strassenbreite noch dem Standard der Vorkriegszeit entspricht.

Leider wird diese landschaftliche Vielfalt nicht in den Getränken widerspiegelt. Ich bin normalerweise kein Verfechter von antikapitalistischen Werten, aber was der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten der Biervielfalt der Schweiz angetan hat, ist ein grober Frevel. Vor einem halben Jahrhundert spiegelten die Biere noch die lokale Kultur und Unterschiede wider und waren ein Abbild der schweizerischen Vielfalt. Heute ist das ganze Land von einer tristen Einheitsbrühe überzogen.

Die aus Marketinggründen beibehaltene Etikettenvielfalt mag nicht darüber hinwegtäuschen, dass überall das gleiche Bier aus der gleichen Abfüllstation mit dem gleichen Wasser drin ist. Die Aussagen der Marketing-Abteilungen von Heineken und Carlsberg, wonach die lokalen Rezepte beibehalten wurden, erscheinen so glaubwürdig wie die Abgas- und Benzinverbrauchswerte der Autohersteller.

In Anlehnung an Asterix hat diese Entwicklung in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Lokalbrauereien auf den Plan gerufen, welche an den rebellischen Instinkt und den Lokalpatriotismus appellieren. Leider handelt es sich bei diesen lokalen Bieren jedoch meistens auch um ein ziemlich uniformes „unfiltriertes“, amberfarbiges Gebräu. Neben den überhöhten Preisen zeichnen sich diese Biere in der Regel durch versteckte qualitative Mängel aus, welche dazu führen, dass man regelmässig nach dem Genuss von zwei Stangen am kommenden Morgen ein stechendes Kopfweh hat.

Ein andere Reaktion auf die Bier-Misere sind die Badwannenbrauer. Dies ist derzeit bei „originellen“ Enddreissiger als ausgleichendes Hobby oder bei frisch Pensionierten als Beschäftigungstherapie in Mode gekommen. Abgesehen vom „speziellen“ Geschmack wird der Genuss dieser Biere dadurch erschwert, dass man dazu die technischen Ausführungen des „Braumeisters“ über die Unterschiede von obergärig, untergärig usw anhören muss.

Ganz anderes in dieser Hinsicht die Situation in Grossbritannien. Dies erstaunt insofern, als dass man nicht intuitiv die britische Kultur als Leitkultur in kultureller oder kulinarischer Hinsicht empfindet. Aber in den britischen Pubs herrscht eine Biervielfalt von welcher, der Rest der Welt nur träumen kann. Im Gegensatz zur Schweiz – wo man dankbar sein muss, wenn man neben dem Lagerbier noch ein Weizenbier zur Auswahl hat - besteht diese nicht in der Etiketten-Vielfalt, sondern es handelt sich um komplett unterschiedliche Getränke, welche man je nach Aussentemperatur, Tageszeit oder Laune passend sind.

An einem Hitze Tag im Sommer passt am besten ein sprudelnd erfrischendes hellgelbes Lager, welche erfreulicherweise teils deutlich weniger Alkohol und dennoch mehr Geschmack als die schweizerischen Biere haben und somit durchaus auch tagsüber bei hohen Temperaturen genossen werden kann.

Nach getaner Arbeit und als Einleitung in den Feierabend bietet sich ein Bitter an. Dieses hat keine Kohlensäure und wird von Hand langsam aus dem Tank gepumpt. Im gleichen langsamen Tempo wie sich das Glas füllt, fällt auch der Ärger des Arbeitsalltags in sich zusammen und man fühlt sich schon besser, bevor man den ersten Schluck genommen hat.

In der kälteren Jahreszeit oder nach dem Eindunkeln ist schliesslich der ideale Zeitpunkt für ein wunderbares, dunkles stout Bier gekommen, welches auch gut und gerne an Stelle eines Abendessens treten kann.

Aber statt über die schweizerische Bier-Einfalt zu jammern, sollten wir uns vielleicht über die globale Vielfalt freuen und dass wir deswegen einen guten Grund haben, ab und zu eine Grossbritannien Reise zu unternehmen.

Liebe Grüsse, Adrian



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