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Vom Jassxit, Blasendruck und Thermomix

Herausgegeben von Adrian in Allgemeines · 3/7/2016 21:01:00
Als ich neulich morgens erwachte, blieb ich zuerst einen Moment im Bett liegen. Waren die schauderhaften Vorfälle am Vortag tatsächlich passiert oder war alles nur ein schlimmer Traum gewesen? Ich fühlte mich wie David Cameron und Roy Hodgson in Personalunion nach ihrem jeweiligen Brexit.

Schlaftrunken wankte ich in die Küche und wurde der Menge der nicht abgewaschenen Gläser gewahr: Definitiv kein Traum sondern ein Trauma: Der Jassxit hatte stattgefunden: mein Jasspartner und ich hatten gestern hochkant verloren. Unsere Geheimwaffe – der „geschobene Rückhand-Slalom“ – war so wirkungslos verpufft wie die Ermahnungen der Eltern pubertärer Kinder, sie sollen doch früh zu Bett gehen, damit sie am nächsten Tag in der Schule dem Französisch-Lehrer aufmerksam zuhören können.

Immer noch diesen düsteren Gedanken nachhängend stieg ich in den Mietwagen, der mich zu einer Sitzung am anderen Ende der Schweiz bringen sollte.

Plötzlich hatte ich andere Probleme: Beim Rückwärtsfahren aus dem Parkplatz bimmelte es an allen Ecken und Enden. Ich kam mir vor wie im Spielsalon der 80er Jahre, wo der Flipperkasten unter Sirenenalarm fünf Zusatzbälle auf das Spielfeld spuckte, wenn man die Kugel am richtigen Ort versenkt hatte.

Ich hielt sofort an und studierte das Display, welches links und rechts Abstandswarnungen signalisierte und mir mitteilte, dass ich nun rückwärtsfuhr, weshalb an der Stossstange eine Art Überwachungskamera aktiviert werde. Ich dankte freundlich dem Hinweis, aber da vor mir eine Wand und links und rechts andere Autos standen, konnte ich leider nicht anders aus der Parklücke fahren.

Ich legte wieder den Rückwärtsgang ein, worauf das ganze Gebimmel von Neuem anfing. Leicht genervt fuhr ich zügig rückwärts um dem Unfug ein baldiges Ende zu setzen. Glücklicherweise hatten sich hinter dem Auto keine spielenden Kinder befunden. Diese hätte ich vor lauter Alarmsignalen sicherlich überfahren.

Bereits leicht verschwitzt stand ich am nächsten Rotlicht als unvermittelt der Motor abstellte. Eine Schockwelle durchfuhr mich. Ich erinnerte mich, wie ich als 20jähriger mit meiner Yamaha DT auf der Autobahn einen Lastzug überholen wollte, als mir mitten im Vorgang der Sprit ausging. Mit 122,5 km/h - Tendenz rapide sinkend - versuchte ich auf der Überholspur neben dem 40 Tönner hektisch den Benzinhahn unter dem Tank zu ertasten und auf Reserve umzustellen. Dass hinter mir im gefühlten Abstand von 20 cm ein hupender Deutscher in seinem BMW den Lastzug ebenfalls überholen wollte, machte die Situation nicht besser… Ich hätte allerdings nicht erwartet, dass mir das gleiche 25 Jahre später in einem Mietwagen wieder passieren könnte.

Die Ampel schaltete auf grün noch bevor ich weiter überlegen konnte, wo sich wohl in diesem Mietwagen der Benzinhahn befinden könnte. Reflexartig wechselte ich von der Bremse aufs Gas, worauf der Motor in wundersamer Weise wieder ansprang. Als ich die Geschichte am Abend meinen Kollegen erzählte erfuhr ich, dass dies kein Fahrzeugdefekt sondern eine Tribut an die EU- Abgasrichtlinien war. Mein Verständnis für den Brexit wuchs umgehend.

Der Mietwagen-Horror ging jedoch weiter: Als ich auf der Autobahn fuhr, hatte ich eigenartige Sehstörungen. In unregelmässigen Abständen von bloss wenigen Sekunden erschien ein merkwürdige Flackern links und rechts am Rande meines Blickfelds. Ich erinnerte mich im Wartezimmer meines Zahnarztes in einer Regenbogen-postille vor Jahren gelesen zu haben, dass dies die ersten Anzeichen von epileptischen Anfällen sind. Na prima: dies auf der Autobahn bei 150 km/h und ohne eine unterschriebene Patientenverfügung.

Mein Puls stieg rapide an und proportional dazu vergrösserten sich die Schweissringe unter meinen Achseln. Ohne Konsultation des 500 seitigen Handbuchs in 28 Sprachen hatte ich es leider weder geschafft in dem komplexen Menu des Bordcomputers die Klimaanlage einzuschalten noch den Sender von Radio Seefunk auf etwas für unter 80 jährige umzustellen.

Als langjähriger Yoga-Praktiker vermochte ich mich unter Einsatz passender Atemtechniken wieder in den grünen Bereich zu bringen und die Lage zu analysieren. Dabei stellte ich fest, dass das Flackern nicht von meiner Grosshirnrinde sondern von den Aussenspiegeln ausging. Dort leuchteten jeweils irgendwelche Warnzeichen auf, wenn ich an anderen Autos vorbeifuhr. Am Abend erklärten mir meine Kollegen, dass dies ein Hinweis auf sich im toten Winkel befindende Objekte sei und dass man dies im eigenen Auto normalerweise unmittelbar nach dem Kauf abstellen würde.

To make a long story short: verglichen mit meinen eigenen 10 resp. 20 Jahre alten Autos, scheinen die 2016er Modelle vollgestopft mit unnötigen Features zu sein, welche die Aufmerksamkeit des Fahrers von der Strasse und den anderen Verkehrsteilnehmern ablenkt. Das grossartigste in dieser Hinsicht fand ich die Anzeige des Reifendrucks im Display: ich nehme an als nächstes zeigt man den Füllstand der Blase des Fahrers an, mit dem Hinweis, dass er demnächst ein WC aufsuchen solle…

Versteht mich nicht falsch: Ich stehe dem technischen Fortschritt grundsätzlich äusserst positiv gegenüber und bin normalerweise unter den First Movers, wenn es etwas Neues gibt: Allerdings vermag ich in den obigen Entwicklungen den Fortschritt nicht ganz zu erkennen. Diese Beobachtungen leiten nahtlos über zum kulinarischen Thema des heutigen blogs, dem Thermomix.

Ich werde regelmässig von meinen Freunden geneckt, weil sich in meiner Küche zahlreiche Utensilien befinden, die der Durchschnittshaushalt nicht unbedingt mehrmals täglich braucht: angefangen vom Trüffelhobel übers Parmesanmesser, das Ausbeinmesser bis hin zur Glacémaschine. Insofern wähnte ich mich durchaus in der Zielgruppe des Thermomix, dem neusten Küchentool, welches in Portugal beliebter als das iPad sei, obwohl er das Doppelte eines durchschnittlichen Monatslohn koste.

Gemäss den begeisterten Kundenmeinungen wird dieser offenbar vorwiegend von Leuten gekauft, die (vorher) nicht gerne kochten resp. die keine Zeit fürs Kochen haben. Die Begeisterung am Thermomix rühre daher, dass dieser nach einem vorgegebenen Rezept die Zutaten wiege, hacke, knete, rühre, mixe und koche und den entmündigten „Koch“ Schritt für Schritt anleite.

Ich habe zugegebenermassen noch nie einen Thermomix in Action gesehen, aber wenn man den Berichten im Internet Glauben schenken darf, so wirft man gemäss den Instruktionen auf dem Display Lebensmittel in den Kessel. Dieser rüttelt und schüttelt und knattert dann und irgendwann gibt es ein abschliessendes „BING“ – Essen ist fertig! Ein solches Treiben würde ich beim besten Willen nicht als Kochen bezeichnen.

Bei der Nahrungsaufnahme unterscheide ich seit langem zwischen „essen“ und „verpflegen“. Beim Essen habe ich Zeit und Musse und geniesse die einzelnen Aromen und deren Zusammenspiel. Verpflegung ist hingegen das schlichte Befriedigen körperlicher Grundbedürfnisse etwa in der Kantine oder mittels Tiefkühlpizza. Diese Unterscheidung ist wertneutral und im Wesentlichen eine Frage der Umstände und Möglichkeiten.

Der Thermomix dient offenkundig einzig der Zubereitung von Verpflegung nicht jedoch von Essen. Wer essen will, kommt um kochen nicht herum: Dieses beginnt beim Pflücken der entsprechenden Kräuter im Garten (oder im Migros). Beim Waschen verströmen diese den ersten Duft und beim klein hacken erhalten wir ein Gefühl für ihre Konsistenz. Beim Erwärmen des Olivenöls ist es entspannend zu beobachten, wann dieses die richtige Temperatur hat, um die gehackten Zwiebeln und den gepressten Knoblauch anzubraten. Der Geruch dieser Dreifaltigkeit liebe ich jedes Mal aufs Neue.

Besondere Freude bereitet ebenfalls das Anbraten und Garen des Fleischs. Dieses sorgfältige Manövrieren mit der Temperatur in der Bratpfanne, dass es schön gebräunt ist und innen dennoch roh bleibt. Anschliessend das gemütliche Niedergaren mit dem steten Kontrollblick auf das Thermometer, dass ja die Idealtemperatur nicht überschritten wird. Daneben den Wein zum dritten oder vierten Mal darauf hin überprüfen, ob er wirklich keinen Korken hat und den Tisch schön decken während sich im ganzen Haus der feine Essensduft ausbreitet:

DIES ist Kochen, meine lieben Wuppertaler Thermomix Ingenieure und nicht „Reinwerf-Rüttel-Bing“!

Mein persönliches Wochenfazit: Sowohl bei den Autos wie auch den Küchengeräten ist nicht jede Weiterentwicklung ein Fortschritt.

In diesem Sinne mein Schlachtruf: nicht nur Verpflegen sondern ab und zu auch Essen !
bis bald, Adrian 



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