Es gibt Konzepte, die auf den ersten Blick einleuchten, sich jedoch bei näherer Betrachtung ins Gegenteil verkehren. Andere Konzepte erscheinen auf Anhieb überzeugend und sind dann in der Umsetzung sogar noch besser als erwartet. Zur ersten Gruppe zählt die Überlegung, dass das Internet die Meinungsfreiheit fördere. Zur zweiten Gruppe das Koch-konzept Txoko.
Dank dem Internet haben wir heute unendlich mehr Informationen schneller und einfacher zur Verfügung als noch vor wenigen Jahren. Man hätte erwarten können, dass dadurch die Meinungsvielfalt und die differenzierte Argumentation gefördert und bessere Entscheidungen gefällt würden. In der Realität ist genau das Gegenteil eingetreten: anstatt des Meinungspluralismus bestimmen heute einfachste, uniforme Haltungen die öffentliche Meinung.
Ein einziges Bild (zB. eines französischen Premiers um Mitternacht auf dem Roller auf dem Weg zur Geliebten), ein kurzer Filmclip (z.B. der Bundeskanzlerin, welche ein abzuschiebendes Flüchtlingskind zum Weinen bringt) oder eine fünfzeilige Meldung (z.B. die Bemerkung eines deutschen Politikers über den Füllungsgrad eines Dirndls) werden viral verbreitet und hunderttausendfach ge-liked. Die inhaltliche Richtigkeit der „Berichterstattung“ wird nicht hinterfragt, insbesondere wenn damit bestehende Klischees bedient werden. Der Kontext und alternative Sichtweisen werden – da die Klarheit der message störend – willentlich ausgeblendet.
Auch der nicht zu Paranoia neigende Zeitgenosse wundert sich doch manchmal darüber, wie Bilder und stories zu einem für gewisse Kreise doch sehr passenden Zeitpunkt auftauchen. Manchmal drängt sich der Verdacht auf, dass gezielt naive Gutmenschen vor den Propandawagen der im Hintergrund bleibenden spin doctors gespannt werden. Ein Blick zurück auf die dem Führer zujubelnden Bevölkerungsmassen im Deutschland der dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts zeigt, dass dies keine neue Erscheinung ist.
Einmal losgetreten ist solch eine Meinung oder neudeutsch „shit storm“ nicht mehr aufzuhalten. Die Vertreter einer Gegenmeinung resp. die „Opfer“ haben nicht die geringste Chance, eine sachliche Auseinandersetzung zu führen. Eine differenzierte Gegendarstellung der betroffenen Unternehmen oder Personen verbreitet sich nicht in gleichem Masse, da nur halb so interessant wie der ursprüngliche „Skandal“. Zudem ist die öffentliche Aufmerksamkeit mittlerweile bereits beim nächsten Thema.
Bezüglich der Meinungsfreiheit hat das Internet somit keinen Fortschritt gebracht. Es werden im Gegenteil Erinnerungen an den Zustand der Meinungsfreiheit in den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts wach, wo unpopuläre oder kritische Ansichten nur im privaten Kreis geäussert werden konnten und darauf vertraut werden musste, dass kein Denunziant darunter ist.
Verglichen mit der tristen Welt dieser wankelmütigen aber dennoch alles dominierenden öffentlichen Meinung des Internets erscheint ein Txoko geradezu die Oase der Meinungsfreiheit. Dort sind einzig politische Diskussionen und Frauen verpönt :-)
Vor ein paar Wochen las ich einen Zeitungsartikel über Txokos und die Idee hat mich spontan begeistert. Dabei handelt es sich um Kochclubs im spanischen Baskenland, wo sich seit über hundert Jahren Männer jeden Freitag um die Mittagszeit treffen, um den Rest des Tages gemeinsam zu kochen, zu trinken und zu plaudern. Allein in San Sebastian gibt es über 150 und im ganzen Baskenland über 1500 solcher Klubs. Die Aufnahme in diese Vereine ist schwieriger als bei Rotary, Lions und co. In der Regel wird ein Platz erst mit dem Ableben eines Mitglieds frei und auch nur dann, wenn dessen Söhne kein Interesse zeigen.
Allerdings war mir auch klar, dass das Konzept einiger Anpassungen bedurfte, damit es im hiesigen kulturellen Umfeld funktioniert: Die in meinem Umfeld an einem Txoko interessierten Freunde teilen ein gemeinsames Problem mit mir: unsere Freizeit wird lästigerweise penetrant und wiederholt durch länger andauernde Phasen der beruflichen Tätigkeit unterbrochen. Es erschien die Erwartung nicht realistisch, dass sich hierzulande in white collar jobs berufstätige Männer jeden Freitag ab 12 für den Rest des Tages zu einem gemütlichen Zusammensein treffen können.
Um das schweizerische Bruttosozialprodukt nicht zu gefährden haben wir uns deshalb auf einen Freitag pro Monat beschränkt und den Beginn auf 17 Uhr verschoben. Als selbst dies in gewissen Kreisen als zu früh empfunden wurde, musste ich entgegnen, dass zwar der Süden vielleicht ein paar Sachen von uns, wir aber auch ein paar Sachen von dort lernen sollten.
Im Gegensatz zum Baskenland und Nordirland sind die schweizerischen politischen Differenzen harmlos, weshalb wir – im Gegensatz zum Internet – die Meinungsvielfalt zu allen möglichen Themen schätzen und pflegen. Sollte sich jemand nach ein paar Gläsern Wein bei einem Thema zu sehr ereifern, so wird ihm umgehend eine kochtechnische Aufgabe zugewiesen, welche seine volle Aufmerksamkeit erfordert.
Aus meiner Sicht ist Essen ein sozialer Anlass für die Familie im näheren und weiteren Sinne. Es macht deshalb aus meiner Sicht keinen Sinn, die Ehefrauen resp. Partnerinnen davon auszuschliessen. Diese sind zwar in der Küche unerwünscht aber sehr gerne zum Essen eingeladen.
Bei der Auswahl der Gänge suchen wir regelmässig Rezepte aus, die wir noch nie gekocht haben und deren Zubereitung ich mir alleine nicht unbedingt zutrauen würde. Gerne probieren wir auch neue Geräte aus. So hat zB Christian rezeptgetreu die Lammroulade mit dem neu gekauften Fleischhammer ausgiebig bearbeitet. Dies hat zwar der Küchenwand eine spannende neue Textur verliehen, aber das Fleisch nicht im nötigen Umfang dünner gemacht.
Es geht uns aber auch um die Entdeckung von neuen Gemüse- und Fleischsorten: Als z.B. Roastbeef auf dem Programm stand, wurde ich an der Fleischtheke gefragt, welches ich den gerne hätte. Ich liess mir die Alternativen aufzählen und erklären. Überwältigt von der Auswahl bat ich dann den Metzger, das aus seiner Sicht Beste auszuwählen. Als die Waage dann allerdings für das Wagya Beef 213 Euro anzeigte entschied ich mich doch für das zweitbeste, welches einen Viertel davon kostete.
Die Speisekarten der Anlässe findet ihr ab sofort auf unserer Website unter der Rubrik „Txoko“.
http://www.homeparadize.com/txoko.html
Liebe Grüsse und bis bald, Adrian