Shayyy!!! oder so ählich
Einfach gut dieses Wort. Multiusable! Kreiert von Nicola Sirkis von Indochine, einem meiner musikalischen Lieblinge. Er meint damit eigentlich nix anderes als Tja... Ich setze es mittlerweile ein als Glücksausruf oder, wenn ich manchmal nicht weiter weiss oder wenn sich Dinge nicht ändern lassen. Eben multiusable.
Heute Nachmittag zum Beispiel im letzteren Sinne. Um mich herum das nackte Chaos. Der dritte Tag in Folge die Elektriker, die in meiner wirklich alten Wohnung neue Leitungen legen, Lärm und Dreck machen. Gut das müssen sie ja, dies ist ihr Job. Von meinem hab ich bis morgen früh grad Pause. Normalerweise koche ich meistens an meinen freien Nachmittagen. Doch heute nicht. In diesem Gewusel, Kabelrollen, Bohrgeräuschen und sporadisch kein Strom in der Wohnung, fällt mir rein gar nichts ein. Shayyy!!!
Auf die Terrasse verbannt blätterte ich erneut in Olivier Streiffs wunderbarem Kochbuch. „The Cuisine of Maya Bay“. Sofort stehe ich geistig in seiner Küche in Monaco und schaue zu, wie Gemüse und Früchte zu Vinaigrettes mutieren, die er in einem kleinen Pfännchen anrührt, vollendet, erkalten lässt und in Plastikflaschen umfüllt. Der Duft der Papaya Vinaigrette betört mich und der Pfirsich, den ich zu Mittag esse, duftet auf einmal noch himm-lischer, als er es bereits tut. Ohhh ich schätze es, dass meine Phantasie mir Flügel schenkt. So entkam ich nämlich dem ziemlich üblen Bohrmoment, bei dem der eine Elektriker lauthals vor sich hin fluchte über diese „dumme“ Betonwand im Schlafzimmer.
Ich flüchtete wieder ins Maya Bay und bekam grad noch mit, wie Monsieur Streiff das zerlegte Kaninchen im Bratgeschirr anbriet und den Lavendeljus darin ansetzte.
Ich liebe Lavendel. Nicht in Säckchen oder Kissen, sondern die Pflanze. Anmutige dunkelgrüne Stängel gekrönt mit violetten Blüten, Himmelsduft verströmend. Ich verwende ihn sehr gerne in der Küche zu weissem Fleisch und Heidelbeeren. Für den Herbst und Winter habe ich meine Pläne mit ihm. Die Rezepte werden es dann dokumentieren. Aber noch ist Sommer :-)
Ich blättere weiter im Buch und entdecke die Formvollendung des Vegetable Checkerboard auf dem Sunshine Gaspacho. Eben begreife ich wie er dieses Farbenwunder zubereitet.
Er gibt zwar das Geheimnis der Zutaten preis, doch ich S E H E es.
Ein Glücksgefühl durchflutet mich mit dieser Erkenntnis; Ich kann sehen, wie der Meisterkoch kocht. Welche Handgriffe er für welche Kochaktionen er ausführt.
Berührt über dieses neue Sehen stelle ich zugleich fest, dass in mir eine Transformation des Kochbewusstseins geschehen ist. Kochen tat ich schon sehr immer gern, doch nun fand ein Wandel statt. Die Alchemie des Kochens mit Rüstmesser und Kelle als Zauberstab.
Ich begann mich für Olivier Streiff zu interessieren, seit ich ihn zusammen mit Nicola Sirkis auf einem Bild gesehen habe. Ich googelte wer dieser Olivier Streiff ist. Las, dass er nicht nur Meisterkoch ist sondern sich auch mit Literatur beschäftigt und aussieht wie ein Vanillestängel mit Gehstock. Leis stieg das Erinnerungsbild an Monsieur Ego in Disneys Ratatouille auf.
Ich erfreute mich an seinen schönen Kreationen, die das Internet in wenigen Bildern zeigt. Längere Zeit suchte ich sein Kochbuch, doch dieses erschien bislang „nur“ in Französisch und Englisch. Rezepte in Französisch lese ich seit ca. zwei Jahren mittlerweile wieder ziemlich flüssig, die in Englisch noch nicht. Eine gute Gelegenheit beide Sprachen wieder aufzufrischen. Dennoch tat etwas SEHR Mutiges: Ich schrieb ihm eine Mail.
Wie damals nach den zwei kulinarischen Höhenflügen als Gast bei Tanja Grandits!
Für ihre wunderbare Küche schrieb ich ihr eine Dankesmail und fragte zugleich schüchtern an, ob ich mal einen Tag über ihre Schulter blicken dürfe. Sie schrieb herzlich zurück und bat mich mit ihrem Küchenchef einen passenden Termin abzumachen.
Am 30. April 2014 war es dann endlich soweit und ich war nervös wie ein Kind an seinem ersten Schultag. Ich bin heute noch begeistert mit welch grosser Offenheit ich in diesen heiligen Hallen umher gehen durfte. Zusehen und staunen, die Spannung und Hochkonzentration während des Kochprozesses pulsieren fühlen konnte. Abends dann der absolute Höhepunkt: Mit einem ihrer Köche zeichnete ich verantwortlich für das Amuse-Gueule.
Sehr viel später fragte ich sie, ob sie viele solcher Anfragen wie die meine erhalten würde. Sie meinte ja, aber nicht alle liesse sie kommen, sondern nur die, die auch wirklich kochen können. Offenbar gefielen ihr meine Bilder, die ich zuvor über Facebook veröffentlich habe. Dieses grandiose Lob löste Vielerei in mir aus. Meine Kreativität wurde damit weiter angestossen und weiter beflügelt.
Shayyy!!!
Zurück zu Streiff: Wie gesagt, ich schrieb ihm vorhin eine Mail. Der gute Mann wird sich wahrscheinlich göttlich über mein radebrechendes Französisch amüsieren, dennoch ist die Botschaft klar.
A Monsieur Streiff; ich mag deine farbige Küche
B möchte ich so kochen können wie du und
C lass mich dir mal einen ganzen Tag beim Kochen zusehen.
Das Ganze natürlich sehr höflich und mit Leo.org nach den richtigen und treffenden Worten verpackt und mit nochmaligem Herzklopfen über meinen Mut verschickt ;-)
Ja und nun alle paar Minuten das Handy auf neue Nachrichten gecheckt…
Mittlerweile sind die Handwerker am zusammenkehren ihres Staubes und Drecks. Freundlich sind die beiden und lustigerweise haben wir uns mehrfach schon übers Kochen unterhalten. Es lag am Kochbuch, das ich am Montag auf dem Küchentisch hab liegen lassen bzw. meiner Ankündigung, dass ich am Dienstag Nachmittag dann unbedingt meine Küche brauche. Leider wurde unser Besuch krank und so erlebte ich mit meiner Tochter einen für uns beide sehr seltenen freien und deshalb intensiven Nachmittag unter anderem mit Lebensmitteleinkauf für ein kleines Familienessen am Abend.
Nouvelle Reve taufte ich meinen Pilzpie mit den im Olivenöl und Butter angebratenen Pfefferminz-Estragon-Bohnen. Natürlich ist das Rezept fotografiert und wird auf der Homepage festgehalten. Die Grundidee für den Pie ist von Yotam Ottalenghi, doch eben nur die. Den Rest hab ich bereits schon mit dem Schneiden der roten Zwiebel verändert.
Ist wirklich so! Ausser das eine Mal bei Frau Grandits kann ich mich nicht an Rezepte halten. Schon in der Kochschule war ich diesbezüglich der Greuel der Lehrerin. Allerdings spätestens schon nach dem Probieren nicht mehr.
Ich liebe es über das Rezeptlesen in Neuland zu tauchen und mein Eigenes daraus wachsen zu lassen. Diesen Prozess nenne ich Alchemie. Die Wandlung, die Transformation.
A bientôt, Susann