Ich weiss nicht, ob ihr das auch kennt. Mir jedenfalls ist es nicht ganz unbekannt. Da sind Bruchstücke, Gedankenfetzen, Bildsequenzen, die textlich unbedingt sofort und gleich verarbeitet werden wollen.
Endlich hab ich Zeit zum Schreiben. Doch ich sitze regungslos da, die Finger einsatzbereit auf der Tastatur. Aber es passiert nichts. Tausend Dinge kommen mir zwar gleichzeitig in den Sinn, aber der Screen bleibt trotzdem leer. Leichte Fassungslosigkeit macht sich breit.
Also tappe ich in die Küche und mach mir nochmals einen Kaffee. Jage eine Wespe aus meiner Küche und schliesse das Fenster. Giesse die Kräuter auf der Terrasse, lege Wäsche zusammen und bin in Gedanken versunken. Mein Blick bleibt auf dem Stapel „Später zu lesen“ hängen. Ein Zeitungsartikel über Marseille, den ich unbedingt nochmals lesen will. Ich schaue nach draussen und seufze.
Heute ist der 29. Juli 2015, es regnet schon seit dem frühen Morgen, 16 Grad! Sie sagen aber, morgen komme der Sommer zurück. Hoffe ich zumindest. Während mein Kaffee in die Tasse läuft unternehme ich eine gedankliche Stippvisite nach Marseille.
Erinnerungen an ein kleines Geschäft am Vieux Port. Die Besitzerin, eine kleine ältere Frau, umgeben von grossen Blechbüchsen, in denen die wundersamsten Teesorten schlummern. Indische, chinesische, japanische Grün- und Schwarztees meine ich durch die Behälter riechen zu können. Traumbilder ziehen wie eine Karawane in mir vorbei. Ich beginne zu reisen.
Fein gemahlene Rinde der Atlaszeder mit zerriebenem Schwarzkümmel und frischen Pfefferminzblättern erzählen mir vom ewigen Wind in der Sahara. Der Scirocco führt mich zu dem scharf geschliffenen Gebirge im Tassili, welches die ältesten Felsbilder hütet. Ein Lebenstraum würde wahr, könnte ich sie endlich selber sehen.
Der Duft von Zimt und Vanille setzen mich auf den Rücken eines bunt geschmückten Elefanten, der mit mir in der Gluthitze Indiens endlich an den Ganges kommt, um Wasser zu schöpfen und Tee zu kochen. Heissen Schwarztee mit einer Prise Chili. Dazu knuspriges Nanbrot und Elefantengeschrei.
Würziger Darjeelingblätterduft aus Assam lotst mich weiter nach Kashmir. In meinen Ohren schreit, singt und stöhnt Robert Plant
... My Shangri-La beneath the summer moon
I will return again
sure as the dust that blows high in June
when movin' through Kashmir ...
Ergriffen hebt sich mein Blick auf das mächtige Gebirge des Himalaya. Als kleines Menschlein stehe ich vor diesen riesigen Bergen. Ziehe in der geistigen Karawane auf den Yaks und Pferden über die Seidenstrasse. Weiter und immer weiter und kehre ganz langsam zurück nach Marseille.
Auf der andern Seite des kleinen Ladens duftet es nach Kaffee. Etwa 20 verschiedene Sorten südamerikanische und afrikanische Kaffeebohnen stehen in grossen Glasbehältern in Reih und Glied. Meine Reise geht weiter.
Auf dem Rücken eines Alpakas steige ich zu den Kaffeeplantagen hoch in den Anden. Kaffeebohnen fettglänzend in meiner Hand. Golden Brown. Das Lied der Stranglers fällt mir dazu ein. Der Titel passt, der Text nicht. Es ist das Farbenspiel, das mich darauf bringt. Ich mag das Lied. Das Cembalo und der stete Wechsel des 6/8 auf 7/8 Takt. Wie leise Wellen, die unermüdlich an die Hafenmauer des Vieux Port klatschen und im kleinen Geschäft zu hören sind.
In der kleinen Glasvitrine liegen die verschiedensten Schokoladensorten. Natürlich nur die Besten! Schwarze Kakaoverführungen ab 75 bis 90% Kakaoanteil, denen ich kaum widerstehen kann. Je herber schwarze Schokolade ist, desto lieber mag ich sie.
Auf einem Silbertablett thronen Gelee Royal-Würfelchen in allen erdenklichen Fruchtaromen und Farben. Ich kaufe Adrian gleich von jeder Sorte zwei. Farbige Maccarons in den verschiedensten Fruchtkombinationen liegen daneben. Ich verjuble mein ganzes Restgeld.
Stolz lächelnd erzählt mir die ältere Dame, dass sie die Maccarons und die Gelees selber macht.
Et aussi la Tarte Citron et la Tarte Chocolat. Wir widerstehen nicht und probieren von jeder. Ahhh - Le paradis!
Die Sonne scheint bestimmt auch heute in Marseille.
Jedenfalls stell ich mir das vor und dann fällt mir das eigentliche Blogthema wieder ein und beginne mit Schreiben. Aber dies wird dann ein anderer Blog und den gibt’s später.
A bientôt, Susann