Ohhh dies ist mir durch die Lappen gegangen!
Ohhh ich hätte noch kurz nachprüfen sollen, ob …
Ohhh ich vergass die Wäsche aus der Maschine zu holen...
Ohhh der Monitor im Büro läuft auch noch.
Ohhh ich sollte meine Gedanken dringend bündeln und an meinem neuen Blog schreiben….
Soll ich das mit meiner Ohnmacht und dem Grauen hinschreiben, oder mal richtig Dampf ablassen über diesen lieblosen Hype „Heute machen wir einen auf Betroffenheit und heissen die Flüchtlinge willkommen, weil morgen interessieren sie mich eh nicht mehr“. Der nächste Hype gärt sicher bereits schon irgendwo auf den Datenautobahnen unserer Big Brothers wie Facebook, Twitter, Google und Co.
Ohhh ohhh ohhh......
Erschöpft sitze ich mit einer Tasse Tee am PC. Erschöpft über die vielen „ich sollte, ich müsste“.
Ich trinke weissen Jasmintee mit Mango und Zitrone. Er sollte mich ein wenig aufpäppeln und die Müdigkeit von mir nehmen. Müde bin ich nicht nur physisch, eher Alltags-Kräfte beraubt. Der Tee schaffte nicht, was er versprach.
Ein kurzer Sonnenstrahl zwischen den Regenwolken und ich setzte mich aufs Velo. Vielleicht wirkt ja das. Fahre eigentlich für etwas ganz anderes zur Brockenstube und um den müden Kopf aufzuwecken. Ich mag Brockis, weil jedes einzelne Stück dort seine eigene Geschichte erzählt. Solches ist für mich eine wahre Fundgrube und meine Phantasie springt voll an.
Mein Blick blieb auf feinstem Teeporzellan haften. Filigrane Zeichnungen eines chinesischen Teezeremoniells mit goldenen, roten und schwarzen Strichen darauf verewigt. Ein Liebespaar welches in grösster Harmonie und Liebe Tee aus kleinsten Tassen trinkt. Stumm erzählten sie mir ihre Geschichte.
Über Nacht war es bitter kalt geworden. Heulender Wind fegte um das kleine Haus von Tian und Xia. Dichtes Schneegestöber. Knisternde Holzscheite knarzten im Feuer in der kleinen Feuerstelle. Wenigstens warm hatten sie.
Tian ging heute nicht mit den Männern auf den Jangtsekiang, wo er sonst jeden Tag zum Fischen hinausfuhr. Sein Leben verbrachte. Den Lebensunterhalt verdiente.
Jede Biegung des Flusses kannte er auswendig.
Jeden Fischgrund.
Die dunkelvioletten Wasserstellen, das Herbstlicht reflektierend. Das zarte Hellgrün des Wassers im Frühling, nachdem die Berge die letzten Schneereste freigegeben und geschmolzen waren, welche sich in sattes Gelb des Sommers veränderten. Das Lichtspiel von schiefergrau bis hellblaugrün in der Wintersonne für ihn tanzend.
Er liebte den Fluss zu jeder Jahreszeit.
Xias Wehen steigerten sich in der Nacht. Das Kind konnte jeden Moment zur Welt kommen. Ihr erstes Kind.
Freudig und Bange erwarteten sie dieses Geschenk. Xias Fingernägel bohrten sich in seine Handflächen wenn wieder eine Wehe kam.
Tian begann sich die Zukunft auszumalen. Das Kind auf den Fluss mitnehmen und ihm das Fischen beibringen. Zusammen weite Reisen unternehmen. Tief in den Westen Qinghais, dort wo der Fluss entspringt. Ihnen die grosse Biegung von Shigu zeigen, den Ort seiner Heimat.
Xias spitzer Schrei riss ihn aus seinen Träumereien.
Eine kräftige Wehe erschütterte Xia noch einmal. Das wunderbare kleine Geschöpf kam zur Welt.
Goldener Flaum zierte das kleine Köpfchen, deshalb taufte er seine Tochter Jinjin, was die Goldene bedeutet.
Die Sonne schien und ich fühlte die Sehnsucht nach meinem Liebsten und einer gemeinsamen stillen Tasse Tee. Die Ruhe begann sich langsam auf mich zu übertragen.
Mein Blick glitt weiter zu einem andern Teeservice aus schwarzem Porzellan. Goldene chinesische Papageien auf Bambus sitzend. Filigran die Federn, beinah so, als ob der Wind durch sie ging. Im Hintergrund ein schneebedecktes Gebirge irgendwo im alten China.
Das Gebirge trug Schneeluft zu mir hinüber und ich sehnte mich nach einem heissen grünen Bambusblättertee.
In meiner Phantasie wurde mir dieser Wunsch erfüllt. Der Wind trug mich erneut fort zu einem Bambushain und erzählte mir folgende Geschichte.
Li Mau, wo versteckst du dich denn? Ich mag es nicht, wenn du ständig davon läufst und ich dich nicht finden kann. Li Mau, komm sofort hier her!
Mai Lee war verärgert. Li Mau wusste genau, dass sie ihn nicht so schnell finden konnte. Manchmal schien es ihr, als ob er sie auslachen würde.
Ja sie war anders als gleichaltrige Mädchen. Sie hatte langes glattes schwarzes Haar um das sie viele Mädchen beneideten. Dies wusste sie schon ganz genau mit ihren erst elf Jahren. Ein hübsches Gesicht würde sie später mal haben sagte ihre Tante. Aber auch, dass sie halt anders als die andern sei.
Irgendwann schien sie das nicht mehr zu stören. Sie war dennoch glücklich.
Am liebsten mochte sie, wenn Schneeflocken auf ihr Gesicht tanzten. Sie glaubte dann immer, es seien kleine Schmetterlinge, die sie streicheln würden.
Sie mochte es sehr, wenn man sie streichelte. Oder wenn sie Li Mau streichelte. Dies fühlte sich einfach schön an.
Doch nun war dieser Kerl mal wieder durchgebrannt und sie musste ihn finden bevor es dunkel wurde.
Li Mau komm her, mein Kleiner! Wir müssen ins Haus bevor es Nacht wird hatte sie gesäuselt. Das hatte gewirkt.
Artig kam er zu ihr gestapft. Legte seinen Kopf an ihre Beine und liess sich von ihr streicheln.
Dann zogen sie heimwärts.
Raus aus dem Bambuswald.
Der Panda und das blinde Mädchen.
Keine Ahnung wie viel Zeit ich in der Brocki zugebracht hatte, als mir die beiden Geschichten in den Sinn kamen, die ich Adrian letztes Jahr zu Weihnachten geschrieben habe. Die beiden älteren Damen tuschelten jedenfalls lauthals wie ich beinah aus einem langen Winterschlaf erwachte.
Schnippisch meinte die eine; Und? haben Sie endlich etwas ausgesucht? Nein liebe Dame; war meine Antwort. Dennoch habe ich etwas gefunden. So; was denn ? Ruhe und inneren Frieden.
Verdutzt starrte sie mich an, besann sich aber darauf nichts mehr zu sagen.
Ich wollte gerade die Brocki ohne etwas gekauft zu haben verlassen, als mein Blick erneut hängen blieb.
Ausgebreitet wie eine Schlange lag er da. Der indische Silbergürtel mit den Edelsteinen. Yaspis, Opal, Karneol, Rhodonit, Bernstein, Jade, Malachit, Mondstein, Lapislazuli.
Immer vier Steine eingefasst in ein quadratisches Silberbett verziert mit kleinen Ornamenten. Drei mal drei Zentimeter jede der zwölf Kettenglieder.
Magisch angezogen nahm ich ihn die Hände und schon glitt ich in eine Geschichte, die ich vor fünf Jahren schrieb und in den New York Tales festhielt.
Lautes wütendes Gehupe. Ein mit schweren Tee- und Gewürzekisten bepackter Elefant blockiert die Autos auf der Strasse. Verärgertes Gehupe und Geschrei der Fahrer. Doch weder stört das den Elefanten noch sein Besitzer. Sahid träumt. Aus seiner Kindheit sind Bilder aufgestiegen.
Vage erinnert er sich an das karge Land und den Yamuna, dem langen Fluss. Einen Nebenarm des Ganges. An Menschen, die er vor langer Zeit zurückgelassen hatte. Einer in der Familie sollte Geld verdienen. Und das war er. Er war noch klein wie er den braunen Fluss vor vielen Jahren verlassen musste. Verkauft von seinen Eltern aus finanzieller Not.
Der Elefant war ein Geschenk der Götter. Alle sprachen von einem Wunder. Geduldig wartete der neben der kleinen Hütte auf Sahids Geburt. Trompetete die Freude über das Neugeborene heraus. Die Menschen des Dorfes erzählen noch heute diese Geschichte. Denn keiner weiss bis jetzt, woher der Elefant gekommen war. Vom Himmel sei er gefallen. Der Elefant, der dann mit dem Jungen davon zog und ihn für immer beschützen sollte.
Doch nun war Sahid unterwegs. Sein Heimweh war aber manchmal so mächtig, dass er die Ohren des Elefanten zum Trocknen seiner Tränen brauchte. Das Tier, sein einziger Verbündeter in einer harten Welt, in der nur die Stärksten überleben.
Erst schuftete er in einer Schneiderei. Dort lernte man ihm, wie man Jeans im Akkord näht. Oft 14 Stunden am Tag ohne Pause und kargem Essen. Lange Stunden für einen Achtjährigen.
Eines Nachts riss er mit dem Elefanten aus. Meile um Meile legten sie zurück bis zur nächsten Stadt. Dort landete er in einer Turnschuhfabrik. Lernte, wie man solche mit Schnürsenkeln herstellt. Stanzte die Löcher dazu im Akkord. Sein Arbeitstag hatte nun 15 Stunden. Da war er noch nicht mal zehn.
Nie sollte er von einer Frau erfahren, die eine Mutter im blauen Sari beobachtete. Die direkt vor ihr stehen bleibt und ihrem kleinen Kind die Turnschuhe binden muss. Ihre eigenen Bilder von Indien sieht; aber nichts weiss von den schwer arbeitenden Kindern in der Turnschuhfabrik.
Mit elf riss er erneut aus und ging in die Grossstadt. Dort heuerten er und der Elefant auf einem Schiff an. Seither bringen sie die mit Tee und Gewürzen gefüllten Kisten quer durch die Stadt hinunter zum Hafen. Bringen sie den Händlern, die damit die Welt beliefern.
Nachts beginnt er zu träumen. Von Ländern, die hinter dem Horizont liegen. Was dort die Kinder den ganzen Tag machen? Ob sie auch so hart arbeiten? Was sie essen? Indischen Curry, dazu Tee aus Assam? Ob sie Turnschuhe tragen, solche mit Schnürsenkeln?
Seine Erinnerungen kehren zurück. Heim! Ins Dorf seiner frühen Kindheit. Seinen Eltern und Geschwistern. Und wieder trocknet der Elefant seine Tränen.
Ein kleiner Geldschein wollte die andere Dame dafür, die mir weise ins Gesicht lächelte. Wahrscheinlich hatte sie meine Geschichten und Träume verstanden.
Stimmt! Dieser Blog hat nicht so viel mit Kochen zu tun. Dafür mit Gerüchen, Düften, Tee, Steinen, der Welt und inneren Bildern. Die sind für sehr wichtig für mich. Denn ohne diese Innenwelt kann ich nicht kochen.
Deshalb kremple ich meine Ärmel wieder nach hinten und stelle meine farbige Küche erneut unter das Thema „Kochen für die Menschen und die Welt“.
Losgelöst von allem Elend möchte ich die Welt kochen lernen. Möchte von jedem Land Rezepte sammeln. Am liebsten mit einem Menschen aus dem entsprechenden Land, der mir ein Rezept aus seiner Heimat verrät. Weil in die vielen Länder alle zu reisen, ist mir äusserlich leider nicht möglich. Wohl aber innerlich.
Und über Entschleunigung habe ich auch geschrieben. Ohhh !
A bientôt, Susann