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Am Anfang war ein Rechenfehler

Herausgegeben von Adrian in Allgemeines · 25/7/2015 17:09:00
Ich erzähle gerne Geschichten, aber nicht unbedingt über mich. Dennoch gehört wohl in den ersten Blog etwas darüber, wie ich zum Kochen kam.

Am Anfang stand ein Rechenfehler: In den Semesterferien zwischen dem ersten und zweiten Studienjahr absolvierte ich die Rekrutenschule. Am Wochenende traf ich einen Studienkollegen, dessen Wohnung auf den Herbst frei wurde. Ich hätte diese übernehmen können, falls ich mich innert Wochenfrist als Ersatzmieter melden würde. Ich überschlug meine Einkünfte, welche einerseits eine Halbwaisenrente war und anderseits ein lukrativer Nebenjob. Ich erteilte in einem Industrieunternehmen Unterricht für die damaligen „state of the art“ Computer Programme „PC Text 4“, „Lotus 1-2-3“, „Harvard Graphics“ und für ganz Hartgesottene sogar einen Tageskurs im DOS-Betriebssystem.
 
Kurzer Einschub für die Spätgeborenen: dies ist noch gar nicht so lange her. Es war in der Zeit als man bei „Handy“ zuerst an ein Geschirrspülmittel dachte, welches man im Migros-Wagen kaufen konnte, welcher jeweils am Mittwoch-Nachmittag um 15.15 in der Quartierstrasse hielt. Die Daten-Clouds der damaligen Zeit waren 5 ¼ Zoll grosse Floppy Disks, wo die Daten zwar vor der NSA gut geschützt waren, aber relativ einfach verloren gehen konnten, wenn man diese auf einen Lautsprecher legte, dessen Magnetfeld eine Umformatierung besorgte...

Der Range eines Telefongeräts (welches man im Übrigen nicht kaufen sondern ausschliesslich von den staatlichen Post-Telefon- und Telegrafenbetriebe PTT mieten konnte) bestimmte sich anhand der Länge des Telefonkabels und der Lage der PTT Buchse. Von diesen Buchsen gab es in den Mietwohnungen in der Regel nur eine, welche sich im Wohnzimmer befand. Die NSA hörte wohl damals bei den Gesprächen kaum mit, so aber sicher die Eltern und / oder die Geschwister. Mir wäre die NSA damals eigentlich lieber gewesen...

Im „Kinderzimmer“ war man von der Aussenwelt abgeschnitten, da es nicht nur keine Handys, Whatsapp oder Facebook gab, sondern auch der Zugriff auf den CompuServe e-mail account einzig via Akkustikkoppler und ein 10 Meter langes Kabel vom Kinderzimmer in die PTT-Buchse im Wohnzimmer funktionierte. Weil der Abruf von e-mails jedoch die Telefonleitung belegte, war dies bei der Restfamilie nicht sonderlich beliebt und durfte zum einen aus Kostengründen nur während den Niedertarifzeiten gemacht werden und zum anderen nicht länger als 15 Minuten dauern, damit allfällige Verehrer der Schwestern diese anrufen konnten…

Es gab somit genügend Argumente für eine eigene Wohnung. Es war jedoch von Anfang an klar, dass mir meine Eltern keine finanzielle Unterstützung geben würden, da ich ja gratis und franko hätte daheim wohnen können. Während einer Sonntagswache in der Rekrutenschule rechnete ich das Ganze durch und kam zum Schluss, dass mir meine Einkünfte gut reichen sollten und sagte als Ersatzmieter zu. Rückblickend war dies zwar ein Rechenfehler, aber kein Fehler.

Das Essen in der Mensa erwies sich als schlechter und teurer als erwartet. Dieses wurde offenbar in einer Grossküche am anderen Ende der Stadt Stunden vorher gekocht und dann vor Ort auf gefühlte 32 Grad aufgewärmt: es war eine verkochte, lauwarme Pampe, von welcher sich sogar die John Wayne’s, Panzerkäse und Atombrote der Rekrutenschule positiv abhoben.

Also wurde ich nolens volens zum Selbstversorger und erwarb in der Buchhandlung Jäggi das Betty Bossi Buch „Schnelle Küche“. Mit dem Buch in der Hand kaufte ich in der Migros nebendran die Zutaten des ersten mir zusagenden Menues („Wurstweggen und rohes Gemüse mit pikanter Sauce“) sowie eine Tiefkühlpizza für den Fall, dass das Experiment scheitern sollte. Das Menü gelang und war nicht nur lecker sondern weckte in mir die Freude am Kochen, so dass ich in der Folge noch die „Italienische Küche“ von Betty Bossi kaufte. Diese beiden Bücher befriedigten meine kulinarischen Grundbedürfnisse während der ganzen Studienzeit.

Mit fortgeschrittenem Alter und finanziellen Möglichkeiten wollte ich ein paar Jahre später meinen kulinarischen Horizont erweitern. In juvenilem Selbstbewusstsein liess ich jegliche Zwischenschritte aus und kaufte mir gleich das Paul Bocuse Standard-Kochbuch. Allerdings stellte ich schon bald fest, dass sich die Rezepte nur begrenzt mit meinen Einkaufsmöglichkeiten resp. meiner beruflichen Beanspruchung vereinbaren liessen. Ohne es nochmals nachgelesen zu haben, so erinnere ich mich an Vorgaben, wie dass man frühmorgens auf dem Markt vier „nicht zu alte Stubenküken“ kaufen solle oder eine mittelgrossen Ochsenschwanz unter regelmässigem Wenden 72 Stunden bei 48.5 Grad garen lassen solle… Ich begann zu erkennen, welchen Fortschritt Betty Bossi in den siebziger Jahren den Schweizer Hausfrauen gebracht hatte. Diese mussten schliesslich keine Gourmetküche zubereiten sondern pünktlich zum letzten Piepston der Mittagsnachrichten von Radio Beromünster ein währschaftes Essen auf den Tisch bringen.

Von Bocuse ernüchtert ging ich zurück in die Buchhandlung, um mir das neuste Betty Bossi Werk zu erstehen. Die Ernüchterung war jedoch noch grösser. Dieser Verlag war zwischenzeitlich von einem grossen Detaillisten gekauft worden, welcher den guten Ruf schneller an die Wand fuhr als ein Porsche 911 GT3 RS von 0 auf 100 km/h beschleunigt. Die Rezepte waren abgefasst im Stile von
1. „Kaufen Sie beim Detaillisten die Tiefkühlmischung „Sommergemüse provençale“ und die Fertigkräutermischung provençale.
2. Auftauen und würzen
3. Fertig“

Entsetzt verliess ich die Buchhandlung. Vor die Wahl gestellt, entweder den Rest meines Lebens Betty Bossis Italienische Küche zu kochen oder aber mein Arbeitszeitpensum zugunsten von vor sich hin schmorenden Ochsenschwänzen zu reduzieren, kam mir die Erleuchtung. Ich beschloss die Rezepte grosser Köche zu nehmen und diese alltagstauglich zu machen (also etwa 8 Eier von katalanischen Bergwachteln durch 4 normale Hühnereier zu ersetzen etc.). Diesem Grundsatz bin ich bis heute gefolgt. Ich sammle zunächst diverse Rezepte eines Gerichts, koche diese zunächst mehr oder weniger rezeptgetreu nach und kombiniere diese dann in ein Rezept, welches Schmackhaftigkeit und Einfachheit in idealer Weise kombiniert.

Liebe Grüsse und bis bald, Adrian



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